In seinem Atelier in Exeter stehen ein graphituberkrusteter Tisch und ein Rollwagen mit eingetrockneten Olfarben. Malerei ist derzeit nicht angesagt bei Christopher Cook, dessen Schaffen zwischen Dichtung und Malerei und Malerei und Graphik oszilliert, gegensatzliche Phasen, aber auch einander uberlappende Perioden umfassend, insgesamt ein komplexes Netzwerk bildend, das bezogen ist auf unterschiedliche Orte und Erfahrungen, auf Kunstgeschichte und Aktualitat, auf Archetypisches und Autobiographisches.
Auf geheimnisvoll nachtliche Zeichnungen, die 1988-92 entstanden und 1992 im Beaford Centre in Devon ausgestellt und zusammen mit Gedichten publiziert wurden, folgten nach einem ersten Aufenthalt in Indien - zwei weitere sollten folgen - in Kalifornien die Serie der Pleasure Domes, Variationen eines beklemmenden Spiels mit dem Kitsch, mit den Trivialsymbolen einer vorgeblich heilen Welt - man kennt sie ja, diese kleinen Plexiglaskuppeln, in denen sich um den Eiffel-Turm, das Heidelberger SchloB oder den Stall von Bethlehem ein Schneegestober inszenieren laBt, indem man sie schuttelt.
Christopher Cook plaziert sie in eine alles andere als heile, vielmehr eine graue und beschadigte Welt, in der Betonmauern unmotivert wie Bunkerreste vor einer ebenso majestatischen wie bedrohlichen Bergkulisse herumstehen, fahigelbes Licht auf schmutzigen Schnee fallt - kein erhellendes, erleuchtendes, eher ein kontaminierendes Todesstreifen-Licht - ,in eine Welt, in der duster-lusterne Manner mit Fernglasern unterwegs sind, um das Schauspiel zu betrachten, das sich jenseits eines blutigen Flusses abspielt: Ein paradiesisch nacktes Paar treibt's unter Palmen und azurblauem Himmel. Porno-Video? Peep-Show? Vision aus einer anderen Welt? Oko-Nische einer zugrundegehenden Zivilisation? Erinnerung? Utopie? Vanitas? Hoffnung?
Ein Maibaum aus bunten Paradiesvogel-Federn ist aufgerichtet, ein merkwurdiges Requisit, offenbar eine Art Totem, und Cook bemerkt, ein anderes, ebensowenig friedfertig wirkendes Bild der ,,Pleasure-Dome" -Serie kommentierend (S. 20), in dem die Glaskuppel wie ein Reliquienschrein schutzend und konservierend, aber auch blutrot provozierend ein Lingam-Symbol umfangt, das inmitten eines Miltary-Camps aufgerichtet wurde: ,,Wenn sie sich ein Idol machen, dann fangen sie an zu kampfen".
Inhalte sind Christopher Cook wichtig, seine Sache ist nicht die totale Offenheit der Abstraktion, andererseits sind seine Arbeiten offen nach vielerlei Richtungen, konkret und komplex zugleich, erzahlend, doch nicht illustrativ, moralisch, doch keineswegs didaktisch. Was in den groBformatigen, vorwiegend im abgelegenen Atelier in Cornwall entstandenen Olbildern - einige haben den Weg nach Exeter gefunden und wirken nun merkwurdig fremd neben den neuen, kleineren Arbeiten -inhaltlich angesprochen wird, bestimmt auch die Komposition: Der Kontrast zwischen kontraren Bereichen, die in dialektischer Weise aufeinander bezogen sind.
Form und Inhalt sind eins in den Arbeiten von Christopher Cook. Zweifellos la8t sich sein Werk in Zusammenhang mit der Tradition des Syrrealismus sehen, doch besagt diese Erkenntnis wenig uber die Eigenstandigkeit, mit der Cook seine Visionen realisiert, seine formalen Mittel einsetzt. Das Prinzip der Konfrontation des Disparaten per se interessiert diesen Kunstler uberhaupt nicht. Im ubrigens sollte man, mit Heinrich Klotz, eher von einer Kontinuitat der Moderne sprechen als von einer Kunst der Reprisen.
Parallel zu den Olbildern entstanden neue graphische Arbeiten, die in Motivwahl und formaler Struktur durchaus an die erwahnten anknupfen, auch wenn die Technik eine vollig verschiedene ist. Das Wort Graphik hangt bekanntlich mit dem Material Graphit zusammen - ist freilich nicht von diesem abzuleiten, sondern es verhalt sich umgekehrt: Das weiche Material, eine der kristallinen Varianten des Elements Kohlenstoff, aus dem alle organische Materie besteht, und chemisch identisch mit einem der hartesten, reinsten und kostbarsten Stoffe, den das Universum hervorgebracht hat, dem Diamanten, eignet sich vorzuglich zum Zeichnen (gr. graphein) - daher der Name. Doch Christopher Cook zeichnet nicht mit diesem Material, sondern schwemmt es in seinen Graphites - ich wuBte nicht, wie man den Begriff ins Deutsche Ubersetzen solite, denn Graffiti meint etwas anderes - mit Harz und ol zu Suspensionen auf, mit denen er seine Blatter - glatten Bristol-Karton - ubergie8t und die er dann anschlieBend auf diffizile Weise bearbeitet.
Zunuchst hatte Cook seinen Olbildern Graphit beigemischt, doch das Ergebnis vermochte ihn nicht zu uberzeugen. So blieb denn, wie erwahnt, die Malerei schlieBlich ganz - zumindest vorubergehend - auf der Strecke. Ein Szenenwechsel war angesagt, die neuen Bilder wurden allesamt im Studio in Exeter gefertigt. in ihrer Glatte und ihren subtilen Hell-Dunkel-Abstufungen wirken sie mitunter wie Fotografien, umso mehr, als sich ein Problem der Rander ergibt, das dem Kunstler Kopfzerbrechen bereitet - ich rate ihm ab, die Blatter korrigierend zu beschneiden, empfinde im Gegenteil die sich aus der Arbeitsweise ergebende ,,Unscharfe" der rahmenden Kontur als reizvolles formales Element, erinnernd an die vom Zahn der Zeit angefressenen Schicht-Grenzen verblichener Daguerrotypien.
Naturlich fragt sich der Betrachter, wie dunn diese faszinierenden Grisaillen entstanden sind, die fast ausschlieBlich horizontale Formate aufweisen und sich schon von daher als Landschaften zu erkennen geben, was in den meisten Fallen auch von den Motiven bestatigt wird. Der Kunstler gibt bereitwillig Auskunft: Die ,,Graphitso8e", eine Art Ursuppe, wird hin- und hergeschoben, als Rakel dient eine Stuck desselben Materials, aus dem auch der Bildgrund besteht. Ich frage Christopher Cook, ob er die informellen Arbeiten von Karl Otto Goetz kenne, der ja eine ganz ahnliche Technik ,,erfunden" hat, freilich von volIlig verschiedenen formalen Vorstellungen ausgehend. Cook kennt sie nicht - die Bedeutung des deutschen informel scheint in England noch nicht im kunsthistorischen BewuBtsein ,,angekommen" zu sein.
Gemeinsam aber ist, und dies macht die Besonderheit dieser Arbeiten aus im Gegensatz zu den Gemalden, deren ,,Aussage" nicht zuletzt im Motivischen begrundet lag - etwa, wenn die Genese eines Bildes ihren Anfang nahm als Paraphrase einer Bellini-Madonna, die im weiteren Verlauf des Arbeitsprozesses unter einem Bett-Tuch verschwand und schlieBlich zum Matterhorn wurde, das dem Kunstler selbst wie ein auf dem Kopf stehendes Landkartenbild des indischen Subkontinents erschien -, daB das Bild aus dem ArbeitsprozeB heraus entsteht, nicht, indem es diesen wie jedes kunstlerische Resultat lediglich voraussetzt, sondern indem es ihn, daruberhinaus, ausdrucklich thematisiert.
Die surrealistische Methode des Sich-vom-Gefundenen-Uberraschen--Lassens und des Hierauf-Ruagierens verbindet Cooks Werk mit dem Schaffen der Surrealisten und der Informellen, verbindet aber insbesondere seine alteren mit den neueren Arbeiten. Der Werdegang jeder Arbeit wird nur bedingt geplant, ist freilich auch nicht in jeder Hinsicht unprogrammiert. Bestimmte Vorstellungen dienen als Ausgangspunkt, so die bereits erwahnte Entscheidung, kontrare Bereiche einander gegenuberzustellen, etwa einen einfachen, ruhigen, uberschaubaren, kompakten einer komplexeren, vielschichtigen, motivreichen, in sich bewegten Zone. Dieses Kontrastieren wird zum durchgangigen Prinzip der Arbeiten, Kontrares ergibt sich im Detail aus der Arbeitsweise: Licht bedingt Schatten, Helligkeit Dunkel. Cooks Arbeiten schildern nicht, sondern lassen Analogien entstehen, Landschaft wird nicht als Abbild sichtbar, sondern als Modell.
Im Grunde, und hier liegt die Verbindung zwischen Bild und Urbild, zwischen der Realitat des Abgebildeten und jener der Abbildung, handelt es sich nicht um ein malerisches, sondern um ein plastisches, ein skulpturales Verfahren: Nichts wird als Trompe l'oeil simuliert oder inszeniert, vielmehr wird das Bild im Zufugen und Wegnehmen von Materie modelliert, wenngleich sich dieser ProzeB in allenfalls mikroskopisch meBbaren Bereichen abspielt. Naturanaloge Vorgange der Sedimentation und Erosion werden im graphischen Verfahren gleichsam ,,nachgestellt", und daB es sich dabei nicht um irgendeine Materie, sondern um einen Primarstoff der Schopfung handelt, zudem um einen, in dem sich Erdgeschichte in besonderer Weise manifestiert, und der daruberhinaus der wichtigste Baustein jeglichen Lubens ist, kann dem Kunstler nicht gleichgultig sein.
Hinzu kommt die Ambivalenz des geschmeidigen, weichen Graphit, der ja bekandlich auch als Schmiermittel verwendet wiurd. Welch ein Kontrast zur Harte der Diamanten! Christopher Cook hat den FuBboden seines Ateliers neu gestrichen, so ,,slippery" war er von den Graphit-Aufgussen geworden. Graphit changiert chamaleonhaft zwischen Dunkel und Licht, zwischun Kohle und Diamant. Sein Schimmern und Aufblitzen verrat etwas von den elementaren Polen und Rhythmen, in die Leben eingespannt ist, zwischen Tag und Nacht, zwischen Erde und Feuer. Das Arbeiten mit dieser Materie resultiert fur Cook denn auch aus einem Bedurfnis, das die Malerei nicht befriedigen konnte: Unmittelbar mit Materie zu arbeiten, Natur nicht allein im Bild zu reflektieren, sondern mit ihr unmittelbaren in Kontakt zu treten - eine Arbeitsweise, die mit Erdverbundenheit zu tun hat, mit einer typisch nordischen Landschaftserfahrung - er verweist mich auf die mit uppigem Blattwerk verzierten Gewolbe-Konsolen der traumhaft schonen Kathedrale von Exeter, in denen Naturhaftes nachlebt, das die Missionare, allen voran der heilige Bonifaz, der sich ja auch in Deutschland durch Baumefallen hervorgetan hat - zunachst auszumerzen versuchten, dann aber, psychologisch geschickter, dem neuen Glauben zu integrieren verstanden.
Betrachtet man sich Cooks Graphites genauer, so finden sich neben landschaftlichen Strukturen und Reminiszensen unterschiedlicher Art -darunter auch solchen, deren parallelperspektivische Anlage an indische Miniaturen erinnert oder auch an ostasiatische Tuschbilder, in denen eine vergleichbare Virtuositat des Umgangs mit den Parametern WeiB und Schwarz vorliegt - immer wieder dezidierte Hinweise auch auf Detailformen der Natur, auf Mincralisches, Animalisches und Pflanzliches. Cook bringt Natur gerne auf Umwegen ins Bild ein: Aus der Bewegung des Rakels ergeben sich Formen, die etwas mit einem Tunnel zu tun haben, doch unversehens mutiert das ebenso technoide wie archetypische, auch historisch befrachtete Motiv - man denkt an Henry Moores Shelter-Serie, naturlich heute auch an den neuen Kanal -Tunnel, - zur vieldeutigen Metapher, zur Muschel, zum Facher aus Federn. Oder: Aus manierierten, elaborierten Ornamentformen - Gartenkunst als Versuch der Uberwindung und Sublimierung von Natur, die dekadenten Eskapaden des Dekorativen in Ost und West, haben Cook nicht erst seit seinen indienreisen interessiert, wenngleich sich von diesen her konkret Einflkusse ablesen lassen - entsteht etwas, das schlieBlich wieder ganz nahe bei dem ankommt, was die Natur langst hervorgebracht hat: Der Kreis schlieBt sich, aus dem Kandelaber wird ein Oktopus, Hase und lgel lassen gruBen.
Dies ist es, was Christopher Cook vor allem interessiert: Die Spannung zwischen dem Deja vu einerseits und einem vollig neuen Sehen des Vertrauten, somit auch der Zone, in der sich Verwandlung vollzieht, andererseits. Die bereits erwahnte Zweiteilung zahlrcicher Kompositionen hat fur ihn viel zu tun mit der an heimischen und fernostlichen Stranden gemachten Erfahrung der pulsierenden, oszillierenden Nahtstelle zwischen den Elementen, zwischen dem Festen und dem Flussigen, da, wo angeschwemmt und weggenommen wird, wo etwas anbrandet gegen ein Hindernis, wo das Meer bringt und nimmt, Leben schafft und zerstort, wo Statik als Resultat von Bewegung und Veranderung, Bewegung und Veranderung aber als Statik erfahren werden, Vergangliche, nur im Foto bewahrte Vorlaufer der Graphites sind denn auch Sandbilder, die 1996 am Ufur des Ganges entstanden. Sie existierten nur wenige Minuten.Christopher Cook hat einige von ihnen fotografisch fixiert und in dem Kunstlerbuch Dust on the Mirror veroffentlicht.
Unter Christopher Cooks Graphites sind es nicht zuletzt die Strandlandschaften, die, eigenartig changierend zwischen Abstraktion und geradezu hyperrealistisch-photographischer, auf der Analogie des Herstellungsprozesses basierender Gegenstandlichkeit, diesen Grenzbereich anvisieren - als konkrete Kunst und Metapher fur existentielle Erfahrung zugleich.
Heidelberg, im Dezember 1998
Hans Gercke is an art historian and Director of the Heidelberger Kunstverein.